Technokraten sehen die Zukunft der Menschheit in der Stadt. Aber schon heute ächzen wir in den Metropolen unter Stickoxiden und achtlos entsorgten Starbucks-Bechern. Die Suche nach etwas Natürlichem endet in den homogenisierten In-Kiezen vor Supermarktregalen mit H-Milch. In der Realität urbanen Lebens verkommt Nachhaltigkeit zum Lifestyle, weil den Menschen der Bezug zur Natur fehlt. Hoffnung machen jüngere Entwicklungen im ländlichen Raum, wo Initiativen wie die HOMEberger nachhaltige Entwicklung als Chance erkannt haben und damit eine Balance der Lebensräume herstellen könnten.
Stadt und Land ergänzen sich wie Yin und Yang
Stadt und Land sind keine Gegensätze, sondern voneinander profitierende Lebensräume, die für eine nachhaltige Entwicklung in eine bessere Balance gebracht werden müssen. Die Chancen dafür waren vielleicht nie besser als jetzt: Es gibt eine starke Sehnsucht nach allem Natürlichem, die sich seit 10 Jahren auch in der Medienlandschaft widerspiegelt. Den Weg bereitet haben romantische Geschichten über das einfache Glück. Das Land kann aber mehr als nur Sehnsuchtsort sein – es kann der Ort sein, an dem Arbeit und Leben und Nachhaltigkeit und Fortschritt tatsächlich gut zusammenpassen.
Digitalisierung hebt den ländlichen Raum auf Augenhöhe
In der digitalen Wissensgesellschaft ist es zunehmend egal, von welchem Ort aus wir uns in die Netzwerke unserer Arbeitgeber und Kunden einloggen. Es gibt keinen vernünftigen Grund mehr, Menschen zum Zweck ihrer Arbeit an einem Ort zu versammeln, wie es noch im Zeitalter der Industrialisierung notwendig war. Die Dezentralisierung von Arbeitsplätzen führt zu einer besseren Durchmischung und der Möglichkeit, zu leben wo wir wollen. Woran es heute noch mangelt ist ein Vergleich der unterschiedlichen Lebensräume auf Augenhöhe: Ländliche Regionen wurden strukturell vernachlässigt und in der Folge fehlte dem Land bis zuletzt das gesunde Selbstbewusstsein, das Städte dazu bestärkt, sich immer weiter zu entwickeln.
Die Stadtgesellschaft stößt an ihre Grenzen
Die Begriffe Burnout und Entschleunigung sind fast zeitgleich entstanden, lassen sich aber unterschiedlich verorten: Während der Burnout klar mit dem hektischen Leben in modernen Stadtgesellschaften assoziiert wird und negativ besetzt ist, vermuten wir die Entschleunigung als wohltuenden Gegentrend eher in der Natur („Waldbaden“). Mit der Rückbesinnung auf persönliche Nachhaltigkeit und den Wert von Natur und ihrem Erleben, steigt die Achtung des ländlichen Raums in der Gesellschaft wieder an. Schrebergärten sind wieder gefragt – kommen Kinder ins Spiel, kommt die Sprache häufig auch wieder aufs Haus auf dem Land. Günstige Mieten bringen eine Rationale hinzu.
Nachhaltigkeit bedeutet Freude auf dem Land und Frust in der Stadt
Nachhaltigkeit und ihren Wert erlebt zudem positiver, wer auf dem Land lebt: Der Wechsel der Tages- und Jahreszeiten ist ein immer wiederkehrendes Fest der Großzügigkeit der Natur, der Zug der Vögel versetzt einen gerade jetzt im Herbst in positive Ehrfurcht vor den Leistungen der Tierwelt. Das schafft Achtsamkeit vor den Leistungen der Ökosysteme und wer sie achtet, schützt sie auch. Die Narrationen von Nachhaltigkeit in der Stadt sind vergleichsweise negativ: Ornithologen machen uns ein schlechtes Gewissen wegen der problematischen Lichtverschmutzung, die davon fehlgeleiteten Zugvögel fürchten wir wegen dem Kot, den sie hinterlassen. Laubberge im Herbst sind eine Last, der man mit Radladern begegnen muss, soll die Stadt nicht im Chaos versinken. Natur zu achten bedeutet in der Stadt nicht ihren Überfluss zu erleben, sondern Mühe und Verzicht.
Ländliche Mikroregionen erkennen ihre Chance
In jüngerer Zeit entstehen viele Initiativen, die den Imagewandel der ländlichen Region vorantreiben. In Österreich, wo die Spaltung in Stadt- und Landgesellschaft schärfer ist als bei uns in Deutschland, ist beispielsweise das Kommunalkonsulat entstanden, das die Kreativwirtschaft als Schlüssel für zukunftsfähige Gemeinden sieht und unter anderem mit dem herrlichen „Buch vom Land“ auf sich aufmerksam macht. Kommunikation ist wichtig, um die Zerrbilder „Sehnsuchtsort“ und „Provinz“ aufzuklären. Dem widmet sich hierzulande auch das DorfMOOC, das kreativen Dorfbewohnern hilft, die Stärken der eigenen Heimat zu identifizieren, um dann darüber sprechen zu können.
Wir geben unserer Heimat eine nachhaltige Vision
Nordhessen ist eine typische Region, die von dem Interesse an nachhaltigen Lebensstilen profitieren kann. Lange als „Sibirien Hessens“ verkannt, verkehrt sich das negative Bild der Provinz heute in die positivere Wahrnehmung eines abgeschiedenen Idylls, das dank Digitalisierung beste Voraussetzungen für ein modernes Leben im Zentrum der Republik bietet. Mit dieser Perspektive haben wir die Idee zu den HOMEbergern entwickelt. Unser Ziel: Eine selbstbewusstere Identität für unsere Heimat und nachhaltige Entwicklung als Bereicherung letztlich auch für unser eigenes Leben.
Nachhaltigkeit verbindet
Wir HOMEberger stehen für regionale Produkte von hoher Qualität und gutem Geschmack, für handwerkliche Erlebnisse in authentischen Manufakturen, für individualisierte und umweltbewusste Produktion, für sinnstiftende Arbeit in einer ursprünglichen Umgebung. Nachhaltigkeit ist die Klammer, die die völlig unterschiedlichen Akteure verbindet; ihre Vielfalt sorgt wiederum für eine größere Öffentlichkeit. Kernidee unseres Konzepts war, Unternehmer nicht nur als spannende wirtschaftliche Akteure zu zeigen, sondern auch als zufriedene Landbewohner, die sich in Nordhessen zu Hause fühlen und damit Vorbildcharakter haben. Außerdem war es uns wichtig zu demonstrieren, dass man die Identität einer Region aus sich selbst heraus entwickeln muss und sich nicht darauf verlassen kann, das andere das für einen tun.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf gruener-journalismus.de, dem Portal für Journalismus und Nachhaltigkeit der Hochschule Darmstadt.