Anna Lysikow & Manuela Allendorf

Bis zu 15 Röcke übereinander, das ist die Schwälmer Tracht; Tracht des Jahres 2009. Für unseren heutigen Alltag sind 15 Röcke mindestens 14 zu viel, fanden Anna und Manu, zwei hierverliebte Schwälmerinnen. Und doch tragen sie die Tracht im Herzen, so wie viele Menschen aus unserer Region. Gemeinsam wollen sie die Tracht lebendig halten. Statt pompöser Folklore machen sie minimalistische Alltagshelfer zum mitnehmen, die an ihre Heimat erinnern.

Text: Jonathan Linker | Fotografie: Anna Lysikow | Handlettering: Julia Wenderoth | Design: Jonas Seemann

Unternehmen Freundschaft: Anna und Manu haben ihre Firma next level genannt, weil sie ihre Freundschaft mit dem gemeinsamen Unternehmen auf eine neue Ebene heben.

Jeder Mensch braucht Wurzeln
Der Tod ihrer Großeltern war für Anna der Auslöser, sich mit ihren Wurzeln zu beschäftigen. Ihr Großvater wuchs in Odessa auf und wurde während des zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiter mehrfach verschleppt. In Österreich lernte er seine spätere Frau kennen, die wie er aus der Ukraine stammte. Erst als Anna neun Jahre alt ist, beginnt ihr Leben als Schwälmerin. Manu hingegen stammt aus einer traditionsreichen Schwälmer Familie, in der heute noch Platt gesprochen wird. Der vielfältige Dialekt hat frühere Generationen hören lassen, aus welchem Dorf der Schwalm jemand stammte. Als ihre Großeltern zum Kriegseinsatz ins nahe Kassel geschickt wurden, fühlten sie sich dort wie Fremde aus einem anderen Land. Anna und Manu haben unterschiedliche Wurzeln; gemeinsam haben sie eine tiefe Freundschaft und gleichaltrige Töchter. In einem ihrer Gespräche kamen sie so zu der Frage, in welche Wiege sie ihre Kinder eigentlich gebettet haben. Mit ihnen ist auch die Idee zu Schnatzplatz geboren und damit die Lust, sich mehr mit ihrer Heimat und ihren Traditionen zu beschäftigen.

Nützliche Identität
Die beiden gründeten Schnatzplatz, weil sie das Erbe der Schwalm erhalten und ihre Tracht zeitgemäß interpretieren wollen. Denn die 15 Röcke der Tracht sind ihnen mindestens 14 zu viel. Zwischen historischen Relikten und kurzlebigen Souvenirs suchen die beiden einen praktischen Mittelweg, um die Schwälmer an ihre Wurzeln zu erinnern. Sie entwickeln Alternativen zu Alltagsgegenständen, die man ohnehin oft gebraucht und verpassen ihnen ihr Branding: den Schattenriss eines Schwälmer Mädchens mit der „Schnatzkapp“ genannten charakteristischen Abdeckung des hoch auf dem Kopf der Frauen zusammengebundenen Haars. Zur Adventszeit zum Beispiel sind die Plätzchen in Form eines Schwälmer Mädchens in unserer Region allgegenwärtig und werden auch überall dort gerne gebacken, wo die Heimat noch fern, das Herz aber schon bei den Angehörigen ist.

Zusammen alt werden
Wenn Anna und Manu wie so oft bei Michele Cola im La Torre in Ziegenhain zusammen sitzen und über ihren Schnatzplatz nachdenken, dann sitzen da vor allem zwei Freundinnen, die einen Weg gefunden haben, ihre Beziehung über eine gemeinsame Unternehmung zu vertiefen. Alt werden wollen sie am liebsten in einem eigenen Laden: einen Laden, der aussieht wie ein Schnatz. Und darin wollen sie dann noch mehr über ihre Heimat sprechen und dazu Kaffee und Kuchen ausschenken. Nur Schürzen wollen die beiden Frauen dabei nicht tragen, das ist ihnen, wie die Tracht, mit zu viel Ballast alter Rollenbilder verbunden.

Anna & Manu im Interview

„Wir wollen hier als Freundinnen aneinander wachsen und dabei etwas Schönes für die Leute in der Region anbieten.“

Was bietet euch die Region Homberg?

Für uns bietet die Schwalm die wunderbare Möglichkeit Familie und Beruf zu vereinen. Hier können wir kreativ und ausgeglichen sein.

Was könnt ihr für die Region tun?

Wir möchten mit unserem Unternehmen die Traditionen aufrecht erhalten, aber ohne ein angestaubtes Image, sondern mit frischem modernem Design auf heute projiziert. Unser Fokus liegt darin uns unsere Wurzeln bewusst zu machen. So hoffen wir mit unseren Produkten den Bekanntheitsgrad der Schwalm zu erhöhen.

Was fehlt euch in der Region?

Mehr Menschen, die die Schwälmer Mundart sprechen können und somit ihren Heimatstolz bewusst leben.

Was wünscht ihr euch für die kommenden Jahre?

Eine größere Wertschätzung der Region und das Bewusstsein diese zu schützen und zu erhalten.

Unser Lieblingsort

Italienisches Restaurant “La Torre” in Ziegenhain

„Inhaber Michele Cola gehört schon fast zur Schnatz-Familie. Wir treffen uns regelmäßig hier, fast jede Woche, und besprechen unsere nächsten Schritte.“

Wo ist das?

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