Die Lebenskünstler

Kristina Fiand & Ernst Groß
Von Kunst kann keiner leben? Tine Fiand und Ernst Groß haben auf einem denkmalgeschützten Hof in Großropperhausen den Freiraum gefunden, den sie für ein erfülltes Leben brauchten – und wurden darüber beide erfolgreiche Künstler. Dank ihres Engagements lebt heute die ganze Region besser.

Text & Fotografie: Jonathan Linker | Handlettering: Julia Wenderoth | Design: Jonas Seemann

Sie schnitzt lieber Edekafrauen: Tine Fiand wird vor allem mit ihrer Serie über einkaufende Frauen verbunden. Damit gelang ihr der Durchbruch, dafür gab sie ihren sicheren Beruf als Lehrerin auf. Mittlerweile gibt es weit über tausend Stück. Edekafrauen stehen in der Artothek des Bundestages ebenso wie in vielen internationalen Galerien. Die Idee dazu hätte es vielleicht nie gegeben, wäre Tine Fiand nicht von Hamburg aus nach Großropperhausen gegangen.

Den Kulturschock hatten andere
Tine und Ernst sind eine regionale Institution, die hier eigentlich jeder kennt. Als die beiden freischaffenden Künstler vor zwanzig Jahren einen Dreiseitenhof mitten in Großropperhausen kauften, hielten viele sie annähernd für verrückt angesichts des abenteuerlichen Zustands der fast 200 Jahre alten Gebäude. Mindestens irritierend war auch, als die Beiden ihre Möbel vom Sperrmüll holten, die Kinder in einer Wanne auf dem Hof wuschen und in ihrem Garten wilde Pflanzen wuchern ließen.

Influencer für die analoge Region
Heute sind daraus die Träume urbaner Landleben-Liebhaber gemacht, die ihrem fünfzig-Quadratmeter-Schrebergarten einen eigenen Instagram-Kanal widmen. Wichtige Influencer sind Ernst und Tine indes auch ganz ohne Internet geworden: Sie haben ihren Kunst- und Werkhof von Anfang an radikal für andere Menschen geöffnet, bieten Kurse und Ausstellungen, Märkte und Feste an, die das Dorf prägen, die Region beleben und Gäste von überall her zu uns leiten. Besonders etabliert sind zum Beispiel die Kettensägen-Kurse, die Ernst Groß seit über 10 Jahren gibt.

Ein Leben als Kunstwerk
In den zwanzig zurückliegenden Jahren stand bei Tine und Ernst wahrscheinlich nie jemand vor verschlossener Tür – und so ist die Art der beiden mit anderen Menschen umzugehen ein Kunstwerk für sich. Ihre Entschlossenheit der Region Gutes zu tun hat unter anderem zur Gründung des nordhessischen Kulturnetzwerks „Landrosinen“ geführt, in dem seit 2002 rund 20 Künstler und Kulturschaffende organisiert sind.

Kristina Fiand im Interview

„Unser Anliegen ist, das Kunstmachen transparenter zu machen.“

Was bietet euch die
Region Homberg?

Wir profitieren von der zentralen Lage unserer Region und haben als Holzbildhauer hervorragende Produktionsbedingungen. Natur und Landschaft sind besondere Lebensqualitäten, die auch von unseren Kursgästen sehr geschätzt werden. Die Gegend bietet uns eine überschaubare aber qualitativ hochwertige Grundversorgung.

Was könnt ihr für die
Region tun?

Wir können erfolgreich künstlerische Events und Publikumsmagnete organisieren, wie zum Beispiel das Bildhauersymposium Einschlag, das bereits vier Mal an wechselnden Orten in der Region stattgefunden hat. Außerdem trauen wir uns, neue Profile zu erproben, wie die Kunstversteigerung mit den Rotariern Schwalmstadt in diesem April oder auch unseren Weihnachtsmarkt “Was soll ich schenken?” mit vielen regionalen und überregionalen Kunsthandwerkern und Künstlern. Unser Anliegen ist, das Kunstmachen transparenter zu machen.

Was fehlt euch in der Region?

Verbesserungswürdig ist der öffentliche Nahverkehr und auch unser Internet. Eine ärztliche Grundversorgung muss gewährleistet sein.

Was wünscht ihr euch für die kommenden Jahre?

Unsere weiteren Entwicklungsziele und Wünsche sind die Schaffung eigener Ausstellungsräume im Sinne einer Galerie und eines Skulpturengartens. Wir hoffen auf eine Zunahme direkter Kundenkontakte und darauf, dass das steigende Naherholungsinteresse vielleicht auch über Elektromobilität uns dabei zugute kommt.

Unser Lieblingsort

Altes Backhaus in Großropperhausen

Das eigene Brot backen hat Tradition in unserem Dorf mit drei Backhäusern. Den Sachverstand und die Muße wie es mit Sauerteig und Holzheizen funktioniert haben vor allem noch die älteren Leute. Brot ist unserer Wahrnehmung eine Art lebendige Skulptur und wird vor dem Einschießen in den Ofen hier im Dorf oftmals noch mit einem bestimmten Zeichen gesegnet. Wir haben großen Respekt vor diesem Handwerk und würden das Brotbacken sehr gerne noch besser lernen.

Wo ist das?