Michael Schramek

Wer die Vorstellung auf das eigene Auto zu verzichten bedrohlich findet, für den ist Michael Schramek ein echtes Schreckgespenst. Denn er zeigt uns, dass wir mit weit weniger Autos weiter kommen. Statt CarSharing als Lösung für urbane Mobilität zu verkennen, hat er Lösungen entwickelt die zeigen: die Heimat der geteilten Mobilität ist in Wirklichkeit das Dorf. Und unser Landkreis entwickelt sich dabei zum Vorreiter zum Nutzen aller. Wir müssen nur aufhören darüber wie über eine ferne Utopie zu sprechen und endlich einsteigen.

Text & Fotografie: Jonathan Linker | Handlettering: Julia Wenderoth | Design: Jonas Seemann

Michael Schramek hat kein Auto. Mit seinem elektrischen Faltrad legt er über 8.000 Kilometer im Jahr zurück, für weitere Strecken nimmt er die Bahn. Die meisten seiner Kunden wollen oder können auf ein Auto nicht verzichten. Ihnen bietet er mit Regio.Mobil unter anderem das sogenannte pulsierende CarSharing an. Dabei gibt es einen festen Fahrer, der sein Fahrzeug zum Beispiel zwischen seiner Wohnung und dem Bahnhof, von dem er zur Arbeit kommt, bewegt. Während seiner Arbeitszeit können andere Menschen sein Fahrzeug vom Bahnhof aus nutzen. Und nach seiner Heimkehr steht das Auto wiederum an seiner Heimatadresse bereit für weitere Fahrten. Organisiert wird das Sharing über App und Web.

Krieger für eine neue Mobilität
Zum Einstieg in diese Geschichte eine kleine Übung in liberalem Denken: Wie sieht jemand aus, der selbst bei Regen das Fahrrad nimmt; der das Verbrennerauto gar grundsätzlich abgeschafft sehen will; den Untätigkeit bei Umwelt- und Klimafragen in Rage bringen? Wem jetzt das Antilz von Greta Thunberg durch die Hirnwindungen wabert, der ist sicherlich in guter Gesellschaft, liegt aber trotzdem falsch. Denn das hier ist die Geschichte von Michael Schramek, Sohn eines Berufssoldaten, der selbst Offizier wurde. Und dass Michael ausgerechnet mit diesem Hintergrund die Mobilität unseres Landkreises auf den Kopf stellt ist nicht erstaunlich, sondern die Basis seiner Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Denn wir wissen: jedes Kind eines Soldaten wächst mit Entbehrung auf. Im existenziellsten Fall mit dem Verlust eines Elternteils, fast immer mit dem Verlust von Heimat und liebgewonnenen Menschen durch die häufigen Umzüge. Die Vorstellung auf das eigene Auto zu verzichten setzt einen so geprägten Menschen nicht unter Druck. Und die Logistik als Denkdisziplin stammt ohnehin aus dem Militär. Michael kam also über die Bundeswehr zu seiner Leidenschaft, der Mobilität. Mit drei Kollegen half er zunächst die BwFuhrpark, den Mobilitätsdienstleister der Bundeswehr, aufzubauen und gründete mit ihnen dann 2009 das zivile Mobilitätsberatungsunternehmen EcoLibro. Dafür ist er fast täglich bundesweit ohne eigenes Auto unterwegs. Seinen Wohnort Jesberg in Nordhessen fand der gebürtige Schwabe, als er einen guten Ausgangspunkt für sein mobiles Leben suchte.

Kein Verbrenner = kein Verlust
Diese Formel ist für viele Menschen heute noch schwer nachvollziehbar, sie wird aber binnen weniger Jahre aufgehen, ist Michael überzeugt. Um diese Perspektive zu erreichen, müssen wir alle mal die Scheibe putzen, durch die wir Mobilität heute sehen. Michael wird dabei von vielen Akteuren ernst genommen, weil er die Entwicklungen völlig undogmatisch erklären kann. Zum Beispiel indem er zeigt. was war und was noch kommt. Auf einem Foto der New Yorker Fifth Avenue aus dem Jahr 1900 lässt er uns in einem Meer von Pferdekutschen das einzige Auto suchen. 13 Jahre später suchen wir auf einer anderen Aufnahme vom gleichen Ort lange, um die allerletzte Kutsche zwischen den dominierenden Automobilen zu entdecken. Der in den damaligen Jahren stark zunehmende Individualverkehr ließ die Städte in Pferdedung ersticken, erklärt Michael – und schlägt den Bogen in unsere Zeit: heute ersticken wir im Smog der Verbrenner. Damals hielt die politische Klasse lange am Pferd fest, heute kleben wir trotz aller Skandale, Fahrverbote und dem täglichen Verkehrsinfarkt am eigenen Diesel. Die Zeit ist also wieder mal reif für eine Veränderung, will Michael damit sagen.

Morgen in Nordhessen
Aus der Erfahrung der strategischen Mobilitätsberatung gründete Michael Schramek 2016 den operativen CarSharing-Anbieter Regio.Mobil, mit dem er insbesondere in unserem Schwalm-Eder-Kreis aus Vision Wirklichkeit werden lässt. Demonstriert hat Michael die Möglichkeiten schon vor einigen Jahren in seinem Heimatort Jesberg. Hier, wo es keinen Bahnhof und keine größere Stadt in unmittelbarer Nähe gibt, stand man vor der Frage, wie man die Menschen in dem Ort halten könnte. Für Michael war das vor allem eine Frage der Mobilität. Gemeinsam mit anderen Dorfbewohnern gründete er den Verein „Vorfahrt für Jesberg“. Gemeinsam installierten sie CarSharing mit Elektro-Kleinwagen und Bussen für bis zu 9 Personen, postierte eLastenräder beim Dorfkramer und stellten Mitfahrbänke auf. Jesberg ist dadurch so agil geworden, dass Regio.Mobil regelmäßig Studenten aus ganz Deutschland in den kleinen Ort zieht. Die Praktikanten leben dann oft in einem der schmalen Fachwerkhäuschen direkt am Weinberg, den Michael hier vor einigen Jahren angepflanzt hat. Seine Trauben sind süßer als alles was man im Supermarkt kaufen kann, was ihn auf die Idee brachte, auf den steilen Terrassen seines Grundstücks noch mehr anzubauen. Mittlerweile ist sein Ziel, im Alter weitestgehend unabhängig vom Supermarkt zu sein. Und er ist mit seinem Garten, seinen Bienen, Hühnern, Gänsen und Milchschafen auf bestem Weg dorthin. Andere machen im Ruhestand Kreuzfahrten; Michaels Luxus wird sein, seine Heimat und seinen Hof zu genießen und nur mobil sein zu müssen, wann und wie er es möchte.

Michael Schramek im Interview

„CarSharing auf dem Land wird nicht mehr zu bremsen sein, wenn die Autos um 2025 selbst zu ihren Fahrern fahren werden. Autonomes Fahren wird unsere Mobilitätsoptionen auf dem Land deutlich verbessern. Auf der Kehrseite verlieren wir dadurch persönliche Autonomie und bewegen uns noch weniger selbst.“

Was bietet dir die Region?

In Jesberg und der Region tanke ich die Kraft, die ich für meine vollen Tage als Mobilitätsberater an täglich wechselnden Orten in ganz Deutschland brauche.

Was kannst du für die Region tun?

Zum einen arbeite ich mit meinem Team von Regio.Mobil daran, der Region eine komfortable und nachhaltige Mobilität mit weniger eigenen Autos zu ermöglichen. Zum anderen möchte ich viele inspirieren, die Möglichkeiten, die uns unsere Region zur nachhaltigen Gestaltung der näheren Zukunft bietet, zu nutzen.

Was fehlt dir in der Region?

Die Region hat die besten Voraussetzungen, einen Großteil der benötigten Energie und Lebensmittel selbst zu erzeugen, sich also weitgehend autark zu machen. Erste Ansätze gibt es, nun gilt es, diese zu entwickeln und auszubauen. Die HOMEberger können einen wertvollen Beitrag dazu leisten.

Was wünschst du dir für die kommenden Jahre?

Die Wissenschaft gibt uns noch zehn Jahre Zeit für die klimagerechte Umgestaltung unserer Wirtschaft und unseres Lebensstils. Ich wünsche mir, dass wir diese sehr kurze Zeit mit voller Kraft nutzen, um die Grundlagen für eine dauerhaft lebenswerte Zukunft zu legen.

Mein Lieblingsort

Mein Weinberg in Jesberg

„In Nordhessen ist dies mein Weinberg, mit Blick über Jesberg in den bewaldeten Kellerwald.“

Wo ist das?